07.02.2016 – 5. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr –C–
Liebe Schwestern und Brüder,
Im Brief an die Konrinther stellt der Apostel Paulus eine wichtige Frage: „Habt Ihr den Glauben vielleicht unüberlegt übernommen?“ Paulus hat die Gemeinde in Korinth lange nicht gesehen und fragt sich, wie tief die Verkündigung der Frohen Botschaft von der Auferstehung Jesu in die Herzen der Menschen eingedrungen ist. Wieviel ist nach dem ersten Feuer der Begeisterung übrig geblieben, um im Alltag aus dem Evangelium leben zu können und Christus nicht zu verraten. Er kennt die menschliche Natur, weiß, dass wir Menschen dazu neigen, unbequeme Dinge beiseite zu schieben, Entscheidungen auszuweichen. Das galt für die Gemeinde von Korinth genauso wie für uns heute.
Vor wenigen Tagen hatten wir einen Elternabend der Erstkommunionkinder zum Thema Versöhnung. Wir haben über die Entstehung des Bußsakramentes gesprochen und über die Notwendigkeit, dass wir Menschen unseren Glauben nicht mit uns selbst ausmachen können. Nicht von ungefähr mahnt uns Christus: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Zum einen spricht es die Mahlgemeinschaft an, zum anderen warnt es uns davor, Konflikte und Probleme nur mit uns selbst auszumachen. Wir brauchen das klärende, reflektierende Wort mit der Schwester oder mit dem Bruder, dem Partner oder Freund, mit den Eltern oder mit den Kindern oder eben mit dem geistlichen Beistand eines Priesters. Ansonsten laufen wir Gefahr, uns selbst in die Tasche zu lügen.
Wir laufen Gefahr, dass unser Glaube weich gespült wird, wenn wir ihn nicht mit der Wirklichkeit unseres Lebens konfrontieren. Wir laufen Gefahr, der heilenden, aber manchmal eben auch schmerzlichen Kritik auszuweichen, die uns unsere Ab- und Irrwege vor Augen führt. Das kann an kleinen Dingen deutlich werden, wenn sich z.B. manche auf einmal die Frage stellen, ob wir in einer frisch renovierten Turnhalle noch Obdachlosenspeisungen durchführen sollten. Die Frage ist Gott sei Dank geklärt. Oder wieviel Bekenntnismut wir eigentlich in unserem unmittelbaren familiären Umfeld oder gar am Arbeitsplatz haben: Nehmen wir deutlich und unüberhörbar Partei für andere, die ungerecht behandelt oder diskriminiert werden?
Zur Zeit lese ich gerade die Tagebücher von Victor Klemperer, der als zum Protestantismus konvertierter deutscher Jude, in beklemmender und schonungsloser Sprache beschreibt, wie die Gesellschaft im Deutschen Reich unter Hitler sich in einen Sog von Verrat, Rassenwahn und Duckmäusertum hineinziehen lässt. Wie sich das in seinem ganz persönlichen Alltag niederschlägt und es um ihn herum immer einsamer wird. Wie zaghafte Proteste einzelner Menschen schonungslos sanktioniert werden und es schon in den ersten Jahren von 1933 und 1934 zu Verhaftungen und zum Verschwinden von Menschen kommt. Wie sich die Schlinge der staatlichen Verfolger immer weiter zuzieht und Klemperer sich erst im Feuersturm von Dresden der Verfolgung durch die Nazis entziehen kann.
Liebe Schwestern und Brüder, warum dieser Bezug zum Leben von Victor Klemperer? Ich habe selten eine so dichte und wahrhaftige Beschreibung der Alltagssituation im Nazi-Reich gelesen wie bei Klemperer. Er spart dabei auch nicht mit Selbstkritik. Zu lange hatte er sich die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit immer wieder schöngeredet, weil er nicht glauben konnte und nicht glauben wollte, wie sein geliebtes Deutschland zum Komplizen eines verbrecherischen Regimes wurde. Und ich habe beim Lesen selten so stark gespürt, wie wichtig es ist, dass gerade wir unter den Bedingungen der Freiheit einüben müssen, zu widersprechen, Nein zu sagen, Bekenntnis abzulegen. Wenn in diesen Tagen, Wochen und Monaten wieder von Ausgrenzung, Schießbefehl an deutschen Grenzen gesprochen und mit der Angst Politik gemacht wird, dann müssen auch wir klar sein in unseren Positionen, ob wir in der Politik agieren, in der Kirche oder im ganz persönlichen Umfeld.
Wenn nach einer aktuellen Umfrage eines britischen Meinungs-forschungsinstitut angeblich etwas mehr als 20 Prozent der Deutschen dafür plädierten, dass zur Verhinderung des Grenzübertritts auf unbewaffnete Flüchtlinge zu schießen erlaubt werden sollte, dann stimmt in unserem Land etwas nicht mehr. Wir müssen uns in kleinen oder größeren Gruppen vergewissern, ob sich unsere Einstellungen und Meinungen noch aus der Mitte unseres Lebens, aus Jesus Christus, speisen, oder ob wir bereits einer Schönwettertheologie auf dem Leim gegangen sind. Das nennt man dann Gewissenserforschung! Und die lässt sich nicht durch Mehrheitsbeschlüsse, die Macht der Medien oder der Straße aufheben. Wenn wir uns ihr verweigern, dann verweigern wir uns am Ende Gott.
„Sagt „Nein!“, wenn ihr es mit Eurem Gewissen nicht vereinbaren könnt.“ hat Kurt Tucholsky einmal gesagt. An dieser Stelle beantwortet sich dann die Frage des Apostel Paulus auch ganz von selbst: „Habt Ihr den Glauben vielleicht unüberlegt übernommen?“ Unser Glaube erfüllt sich nicht in schönen Gefühlen, Wellnesszufriedenheit und Friedhofsruhe, sondern bewährt sich gerade in Krisensituationen, in denen wir herausgefordert werden, klare Positionen zu ergreifen. Und damit wird auch deutlich, warum Aktion und Kontemplation zusammengehören. Das eine kann ohne das andere nicht glaubwürdig sein. Nur so kann unser Glaube wirklich vor Gott bestehen.
Ein zweiter wichtiger Gedanke wird heute im Korintherbrief wie im Evangelium deutlich. Wie häufig stellen sich Menschen die Frage:
„Was kann ich denn schon verändern? Ich bin doch ein viel zu kleines Licht. Wenn das noch nicht einmal die Politiker hinkriegen …“
Paulus, der große Völkerapostel, bekennt seine Schuld an der Beteiligung an den ersten Christenverfolgungen, dessen erstes Blutopfer, soweit wir wissen, der heilige Stephanus war. Aber er hat sich dem Anruf Jesu gestellt und sein Leben radikal auf den Kopf gestellt. So, und nur so, konnte aus Saulus Paulus werden. Und es sind die einfachen nichtstudierten Menschen, die Jesus zu Menschenfischern macht - an der Spitze der Apostel Simon Petrus, der ihn zuvor dreimal verleugnet hat.
So wird an Petrus und Paulus deutlich: Gott meint jeden von uns, egal, was er ist oder war. Gott gibt niemanden auf, wenn er zur Umkehr bereit ist – egal, was er getan hat.
Gott spricht jeden von uns an. Davon bin ich überzeugt: Dass jeder von uns eine Aufgabe hat, am Reich Gottes mitzuwirken – mit seinen Fähigkeiten und Talenten, an dem Ort, an dem er von Gott hingestellt worden ist. Den Ausspruch „Was kann ich denn schon verändern? Ich bin doch ein viel zu kleines Licht“, diese Position lässt Gott nicht zu.
Vielleicht sollten wir uns die Frage des Apostels einmal zum Losungswort für diese Woche werden lassen:
„Habt Ihr den Glauben vielleicht unüberlegt übernommen?“