110 Jahre
St. Bonifatius
Hamburg-Eimsbüttel
eine Zeitreise
Einleitung
„Deutschland ist ein Missionsland geworden. Millionen rechnen in ihrem Leben nicht mehr mit Gott. Sie bekämpfen ihn nicht. Sie kümmern sich einfach nicht um ihn.“ Diese Sätze sagte Ivo Zeiger schon 1948 auf dem Katholikentag in Mainz. Wenn wir jetzt in die Geschichte unserer 110-jährigen Gemeinde einsteigen, wissen wir auch um solche Aussage, wissen wir aber auch um das „Gott lebt“ in jeder Zeit, glauben wir an eine Zukunft. Dazu müssen wir unsere Geschichte – auch unsere Gemeindegeschichte – kennen. Darum begeben wir uns auf diese besondere Zeitreise. Allen, die sich um diesen besonderen Abend Gedanken gemacht haben, allen die ihre Freizeit gegeben haben, allen, die alle Tage bis zum 19. November gestalterisch durch ihre Kräfte mitgetragen haben und mittragen, allen sei an dieser Stelle ein besonderer Dank gesprochen. Auch das ist zukunftsweisend. |
Johannes Peter Paul, Pfarrer |
Ein kleiner Rundgang durch die Geschichte unserer schönen Kirche.
Sie können ihn von dieser Seite als pdf herunterladen:

Sonntag, 17. November 2002
musiklisch umrahmter Rückblick und Ausblick
Von der „Notkirche“ zur „Zierde am Weiher“
Vor
110 Jahren sah es auf dem Gelände der St. Bonifatius Gemeinde Am Weiher anders
aus. Die erste Kirche, die so genannte Notkirche, stand da, wo sich heute die
Turnhalle befindet. Wo heute die Kirche steht - wuchs Gras. Denn mit dem Bau
des „neuen“ Gotteshauses wurde erst 1909 begonnen.
Das
Pfarrhaus hat seinen Standort nicht verändert. Die Fassade hat elf Jahrzehnte,
zwei Kriege und fünf Pfarrer überdauert. Immerhin.
Woher wissen wir das alles?
Es gibt keine lebenden Zeitzeugen mehr, aber es gibt, Gott sei Dank, ein Gedächtnis von St. Bonifatius. Dieses existiert in Form eines umfangreichen Archivs, das Fotos, Briefe und Dokumente aus 110 Jahren Gemeindelebens versammelt. Und es gibt die Chronik der Gemeinde, Seite für Seite von Hand geschrieben, von 1892 bis heute.
Manche Stunde haben wir uns durch die Papierberge des Archivs gewühlt oder die altertümliche Tintenschrift der ersten Chronisten zu entziffern versucht. Aus der Fülle der Zeugnisse und Erinnerungen haben wir für Sie einige ausgewählt, die uns auf die ein oder andere Art besonders, herausragend erschienen.
Mut zur Lücke war das Motto, denn 110 Jahre sind eine lange Zeit, und sie zu beleuchten dauert länger als ein Fußballspiel. Wir laden Sie kurzerhand zu einer kleinen Zeitreise ein und beginnen mit einem Text, der die Anfänge der Gemeinde bekundet:
„Die Entstehung der Eimsbüttler Bonifatiusgemeinde geht in das Jahr 1891 zurück. Ein 100.000 Quadratfuß großes Gelände konnte man für den Preis von 132.000 Mark erstehen und so entstand neben dem Pfarrhaus und der zwei Klassen umfassenden Gemeindeschule zunächst ein Notkirchlein, dessen Bausumme von 23.000 Mark uns heute märchenhaft niedrig vorkommen will. Und doch war das Gebäude 18 Meter lang und 10 Meter breit. Wenn auch ihre dünnen Eisensäulen nicht gerade den ästhetischen Genuss erhöhten, alles in allem war es ein andächtiger Bet- und Opferraum, den jeder lieb gewonnen hatte.
Am
19. November 1892 konnte bereits der Gottesdienst seinen Anfang nehmen. Der
Vikar an der kleinen Michaeliskirche, Bernhard Dinkgrefe, war zum Pastor der
neu sich bildenden Gemeinde ernannt worden.“
Bereits ein Jahr nach der Einweihung der Kirche wurde 1893 die katholische Schule am Weiher eröffnet. Die Gemeindechronik vermeldet dazu:
„Am 11. April 1893 wurde durch die beiden Grauen Schwestern von der heiligen Elisabeth, Schwester Mercedes und Schwester Borromäa, die Schule mit 67 Kindern eröffnet. Sie umfasste zwei Klassen, die aber schon am 1. Juni des Jahres durch eine dritte erweitert werden mußten. Am 1. Juli war die Zahl der Kinder bereits auf 100 angewachsen.“
Die
Gemeinde boomte, würde man heute sagen. Nach zehn Jahren platzte die gemütliche
kleine Notkirche aus allen Nähten beziehungsweise Fugen. Ein größeres
Gotteshaus musste her. Der Kirchenvorstand schrieb einen Architekten-Wettbewerb
aus, den der Mainzer Baumeister Fritz Kunst für sich entschied. Im April 1909
wurde mit dem Bau der neuen St. Bonifatius-Kirche begonnen. Nach nur gut einem
Jahr Bauzeit, wurde die Kirche am 5. Juni 1909, dem Fest des heiligen
Bonifatius, eingeweiht. Ein Zeitzeuge von einst schwärmte:
„Sie ist ein würdiges schönes Gotteshaus, ausgeführt nach der Art der nordischen Backsteinbauten, aber in den leichten Formen der englischen Gotik. Der schön empfundene Turm zeigt zwar keine Riesenmaße, doch schmiegt er sich dem basilikalen Hauptbau harmonisch an und ist eine Zierde des Stadtbildes am parkumsäumten Weiher.
Eine kleine Episode vom Einweihungstage der Kirche verdient der Vergessenheit entrissen zu werden. Schon war das Allerheiligste hinübergetragen in die neue große Kirche, schon war das brausende Te Deum verklungen, da regte sich so etwas wie stilles Heimweh nach der ehemaligen Armut. Ganz heimlich und verstohlen zog ein Trupp nach dem anderen in die nunmehr verlassene Notkirche – immer mehr Wallfahrer folgten, schließlich war das alte, nunmehr dem Abbruch geweihte Gotteshaus, beinahe gefüllt. Verklingendes Heimweh! Es sprach von tiefen Herzen und großer treuer Liebe.“
Treue und Liebe halfen nichts. Die Notkirche wurde abgetragen und in der St. Antonius Gemeinde in Winterhude zum Teil wiederaufgebaut.
Anderthalb
Jahre lang sammelte man dann am Weiher eifrig für Kirchenglocken. Endlich war
es soweit. Weihnachten 1911 erklangen die Glocken vom Turm der neuen Kirche.
Die Freude am weithin hörbaren Geläute währte nur wenige Jahre. Im Herbst 1914
brach der Erste Weltkrieg aus und die Folgen waren bis in den kleinsten Winkel
des Landes zu spüren. Die Chronik sagt aus:
„Seit Mitte Juli des Jahres 1917 besitzt die Bonifatius-Kirche nur noch die Immaculata-Glocke. Die beiden größeren Glocken mussten dem Vaterland geopfert werden.
Wehmut erfüllte viele Gemeindemitglieder beim Abnehmen der Glocken, da diese mit so großen Opfern verwoben und in absehbarer Zeit wohl keine neuen zu beschaffen sein werden.“
Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte Eimsbüttel zu den so genannten Stadterweiterungsgebieten. Zuwanderer, die in der Industrie und im Hamburg Arbeit suchten, ließen sich hier nieder. Viele von ihnen waren fromme Katholiken. Massen gläubiger Menschen drängten sich bisweilen in der Kirche, die so rappelvoll gewesen sein muss, wie wir es uns kaum vorstellen können. Die Chronik berichtet:
Vom 26. Oktober bis 2. November des Jahres 1919 fand in unserer Kirche wieder eine Volksmission statt. Trotz des ungünstigen Wetters war die Kirche, besonders in den Abendpredigten, bis auf den letzten Platz gefüllt. Obwohl zeitweise in 4, auch in 5 Beichtstühlen Beichte gehört wurde, drängten sich die Gläubigen doch in den letzten Tagen der Woche bis 11 und 12 Uhr abends zu den Beichtstühlen. Den Schulkindern wurde jeden Tag nach der Schulmesse ein besonderer Vortrag gehalten. Bei der feierlichen Missionskommunion am 30. Oktober fehlte wohl keines der 380 Kommunionkinder am Tisch des Herrn.
Die 20er Jahre, von denen man heute als den goldenen spricht, waren in vieler Hinsicht und für viele Menschen wenig glanzvoll.
Mag sein, dass man in den Salons der deutschen Metropolen sich selbst, die Revolution in Kunst und Mode feierte - in den Haushalten von Anna und Otto Normalverbraucher standen gewisse Sachzwänge ganz oben auf der Tagesordnung. Das entnehmen wir einer Anzeige aus dem Nachrichtenblatt für die katholischen Gemeinden Hamburgs vom 4. Juni 1926, Rubrik: Hausfrauenabteilung des Katholischen Deutschen Frauenbunds:
„Am Mittwoch, dem 9. Juni, um 3.30 Uhr pünktlich, findet am Holzdamm 22 auf Veranlassung des katholischen Frauenbundes ein hauswirtschaftlicher Vortrag durch die städtische Gasberatungsstelle statt. Es liegt im Interesse jeder Hausfrau sich über die großmöglichste Gasersparnis beim Kochen und die sachgemäße Behandlung der Apparate zu orientieren, auch werden die neuesten Backformen, Ringe u.s.w. im Gebrauch vorgeführt und Kostproben verabfolgt. Die Veranstaltung ist völlig kostenfrei.“
Ein Ärgernis, das in der Chronik der St. Bonifatius Gemeinde mit gebotener Sachlichkeit immer wieder erwähnt wird, sind die Kirchendiebe. Sie machten sich an den Kostbarkeiten in den geweihten Räumen zu schaffen machen, um die Beute auf irgendeinem Schwarzmarkt zu versilbern. Sie versuchten es einfach immer wieder, die Langfinger:
In der Nacht zum Oktober 1924 stiegen Diebe durch die Luftklappe eines Fensters in unsere Kirche ein. Ihre Hoffnung, im Tabernakel reiche Beute zu finden schlug fehl, weil Monstranz und Ziborium des Abends in den diebessicheren Wandschrank der Sakristei übertragen worden waren. Weil die Tabernakeltüren während der Nacht offen stehen, fanden die Diebe keine Veranlassung etwas zu zerstören. Um nicht vergebens gekommen zu sein, hatten sie die heilige Lampe abgenommen, die Altarleuchter auseinandergeschraubt, verschiedene kleine Kerzenleuchter von den Altären entfernt und alles neben dem Eingang zur Marienkapelle zusammengetragen. Schließlich hatten sie das Kommuniontuch von der Kommunionbank gerissen, wahrscheinlich um die Leuchter u.s.w. darin fortzubringen. Sie konnten aber ihren Plan nicht ausführen, weil sie zu spät aufgestanden waren und ihre Arbeit bis 5 Uhr andauerte. Um diese Zeit schloß unsere Sakristeischwester die Kirche auf, worauf die Diebe in großer Eile das Weite suchten. Als einziges Beutestück war das Schiffchen zum Weihrauchfaß in ihren Händen geblieben.
EXKURS: Konvent der
Grauen Schwestern
„Aus den Augen, aus dem Sinn“ – das dieses Sprichwort nicht unbedingt gültig sein muss, beweist ein Gedenktag wie der heutige. 110 Jahre Kirchengemeinde St. Bonifatius. Schon nach wenigen Monaten begannen auch die damals noch grauen Schwestern hier ihre Tätigkeit. |
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Vor 110 Jahren hatten wir noch eine andere Tracht. Die Modellpuppe zeigt diese Tracht. Daneben sind Bilder von unserer Ordenspatronin, unsern Gründerinnen und einige Auszüge aus der Geschichte.
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Herr Pastor Dinkgrefe führte am 11. April 1893 die für Schule und Krankenpflege erbetenen Schwestern in seine Gemeinde ein. In Hamburg waren „Graue Schwestern“ schon bekannt und wurden sehr geschätzt. Der Pastor einer anderen Gemeinde stellt den Schwestern folgendes Lob aus: „Wo wir Priester nicht mehr hinkamen, fanden die Schwestern in ihrer bescheidenen Art Zugang zu den Herzen und in die Wohnungen.“ So konnten sie oft Wegbereiterinnen sein.
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Die Schwestern bewohnten das oberste Stockwerk der Schule. Die Leute kamen ihnen mit Vertrauen entgegen. Sie konnten segensreich wirken. Als die Schule erweitert wurde, kamen noch einige Schwestern dazu, auch in der Krankenpflege waren mehr Schwestern tätig. Um 1919 zählte der Konvent 20 Schwestern. In den Jahren des Nationalsozialismus bekamen auch die Schwestern die Veränderungen zu spüren. 1939 wurden alle Schwestern aus dem Schuldienst entlassen. Sie wurden bis 1945 als Helferinnen in Krankenhäusern, Hauswirtschaftsbereichen und Büros eingesetzt. Nach dem Zusammenbruch war die Lebensmittelration so gering, dass die Schwestern ständig Hunger litten. Wenn sie zum Betteln ins Umland gingen, teilten sie nachher mit den Leuten aus der Gemeinde. |
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Heute ist alles ganz anders. Wir haben eine andere Tracht, 1972 wurde die Kongregation ganz offiziell umbenannt. Jetzt heißen wir einfach Schwestern von der heiligen Elisabeth. Damals wie heute gilt das Wort unserer Ordenspatronin: „Wir müssen die Menschen froh machen.“ Wir gehen Wege, die unsere Schwestern gegangen sind, wir erfahren Vertrauen, wo sie gesät haben, gebe Gott, dass wir in unserer Zeit da sind für die, die uns brauchen. Dass wir versteckte Not sehen und zu lindern suchen, so weit es unsere Kräfte zulassen und wir zwei Schwestern es schaffen. Sicher begegnen wir da den Schwestern und Brüdern, wo wir uns um Obdachlose und Notleidende kümmern. Aus dieser Gemeinde Sankt Bonifatius sind von 1892 bis 1962 16 Priester und 33 Ordensberufe hervorgegangen. Mögen alle, die in der Ewigkeit leben, für unsere Kirchengemeinde Fürsprecher sein. |
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Schwester Arntraud |
Die 30er Jahre
1930
sollte die Kirche neu ausgemalt werden. Die ursprünglichen Jugendstilornamente,
die wir heute Gott sei Dank wieder anschauen dürfen, wurden übertüncht. Auf den
Oberwänden der Längsseiten wurden die zehn so genannten Nordischen Heiligen
dargestellt. Zeitgeschmack ist so eine Sache. Der seinige hinderte den Bischof
von Osnabrück nicht daran, 1930 höchstselbst Anweisungen zur Innengestaltung
der St. Bonifatius Kirche zu geben.
Wir dürfen zitieren:
„Die figürlichen Darstellungen auf den Wandflächen des Mittelschiffes werden so zu gestalten sein, dass sie, fern irgendwelcher übertriebenen Ausdruckskunst, neuzeitlichem Empfinden entsprechen. Die Fensterlaibungen werden farblich hervorzuheben und die Seitenschiffe in Wand und Gewölbe mit stärkeren Farbwerten zu behandeln sein.
Ich gebe anheim, nach diesen Richtlinien einen neuen Plan erstellen zu lassen und alsdann dem Maler Kottrup den Auftrag zur Ausführung der Malerei zu erteilen.
Mit Befriedigung habe ich davon Kenntnis genommen, dass die Unkosten durch Haussammlungen und Schenkungen zum größten Teil bereits gedeckt sind, und dass die etwa verbleibende Restsumme gegen Ende dieses Jahres ganz zur Verfügung stehen wird.
Der Bischof von Osnabrück“
Deutsche Geschichte im Schnelldurchgang. 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Auch in Hamburg marschierten die Braunhemden durch die hakenkreuzbeflaggten Renommierstraßen.
Zu den im Gemeindearchiv befindlichen Dokumenten, die fast 60 Jahre nach ihrer Entstehung noch eine ganz besondere Brisanz besitzen, gehört der Brief, aus dem wir Auszüge entnehmen. Er wurde 1933 verfasst und enthält, so wörtlich
„Instruktionen für den hochwürdigen Klerus betreff seelsorgerisches Verhalten zu Anhängern des Nationalsozialismus“
I. Angehörige der nationalsozialistischen Bewegung und Partei sind wegen dieser Zugehörigkeit hinsichtlich des Sakramentenempfanges nicht zu beunruhigen, vorausgesetzt, dass gegen ihre Würdigkeit im übrigen begründete Bedenken nicht obwalten, und dass sie entschlossen sind, niemals glaubens- oder kirchenfeindlichen Anschauungen oder Handlungen zuzustimmen.
II. Desgleichen ist die bloße Zugehörigkeit zu jener Partei kein Grund zur Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses (...)
III. Die in Uniform erscheinenden Mitglieder können zu Gottesdienst und Sakramenten zugelassen werden, auch wenn sie in größerer Anzahl erscheinen.
IV. Das Einbringen von Fahnen dieser und anderer politischer Parteiorganisationen in die Kirche ist durch freundliche vorherige Verständigung nach Tunlichkeit zu verhindern, weil es das Gepräge einer politischen Parteidemonstration zu haben pflegt, eine solche aber im Heiligtum des Gotteshauses nicht geziemend ist. Bemerkungen hierüber sind in ruhigem, achtungsvollem Tone zu halten. Werden solche nicht befolgt, so ist ein öffentlicher Skandal, der bei Ausweisung meist eintritt, zu vermeiden (...).
V. So sehr es erklärlich ist, dass in unserer vielbewegten Zeit die politischen Fragen alle Kreise des Volkes und selbst die Jugend höherer und niederer Schulen aufs tiefste beschäftigen und aufregen, bleibt es doch Aufgabe der Kirche, um so eindringlicher und herzlicher die Augen stets hinzulenken auf die höheren Aufgaben und Ziele des Menschen, auf die christliche Religion als Grundlage und Quellborn der Kultur, auf die Notwendigkeit innerer religiöser und sittlicher Bildung, damit zugleich auf die hohen Aufgaben
Die Bischöfe der Fuldaer Konferenz.
Osnabrück, den 29. März 1933
Für die Diözese Osnabrück: Wilhelm, Bischof von Osnabrück.
So entschieden man hier und an anderen Orten noch auf die moralischen Aufgaben der Kirche verwies, so schwieg man in Rom und andernorts doch zu oft zu menschenverachtendem Größenwahn, zur Deportation und Ermordung von Millionen von Menschen, zum sinnlosen Krieg.
Der Kriegsbeginn im September 1939 wird in der Gemeindechronik nicht erwähnt. Notiert wird die Schließung der Katholischen Grundschule am 30. September 1939.
Für
den 24. November 1940 vermeldet die Chronik die Entschärfung eines Blindgängers
auf dem Platz vor der Kirche. Aber es kam viel schlimmer für die Bewohner des
Viertels rund um den Weiher.
Ein Zeitzeuge berichtete aus dem Jahr 1943:
„Vom 24. Juli bis zum 3. August wird Hamburg durch alliierte Luftangriffe in ein weites Trümmerfeld verwandelt. Für Eimsbüttel ist die erste Nacht des Unternehmens „Gomorrha“ die folgenschwerste.
Bereits bei Auslösung des Fliegeralarms gegen 1 Uhr des 25. Juli ist die Stadt durch Leuchtkugeln taghell geworden. Als die ersten Brand- und Sprengbomben fallen, lodern sofort Brände auf, denn die vorangegangene Trockenheit begünstigt die Brandentwicklung. Es gibt kaum Wasser zum Löschen. Auf das Kirchengrundstück fallen neun Stabbrandbomben, die aber unschädlich gemacht werden können. Hinter der Kirche brennen drei große Etagenhäuser in hellen Flammen. Doch die Kirche bleibt trotz Funkenflug unversehrt.
Aus den brennenden Straßen strömen die Menschen herbei, um eine Zufluchtsstätte zu finden. Doch die vorhandenen Räumlichkeiten reichen nicht aus, so dass Pastor Lögers auch die Kirche den Obdachlosen zur Verfügung stellt.
Draußen heult ein furchtbarer Sturm, der innerhalb des unermeßlichen Feuers entstanden ist. Die grausige Nacht will nicht enden. Bis gegen 11 Uhr bleibt es dunkel. Erst gegen 12 Uhr mittags dringt die Sonne durch die Rauchwolken und fliegende Asche hindurch und zeigt sich als blutigroter Feuerball über den qualmenden Trümmern. Obwohl es Sonntag ist, kann an einen Gottesdienst nicht gedacht werden. Erst abends um 6 Uhr wird im Wohnzimmer der Schwestern das hl. Opfer gefeiert. Am folgenden Sonntag kann die Gemeindemesse wieder in der verschont gebliebenen St. Bonifatius-Kirche gefeiert werden.“
Der Bischof schrieb nach Hamburg:
„Osnabrück, den 6. August 1943
Mein lieber Pastor!
Es ist eine schwere Katastrophe, die die Stadt und die katholischen Gemeinden getroffen hat. Ich nehme den innigsten Anteil an dem Leid, das auf viele Familien Deiner Gemeinde gekommen ist.
Ich
habe die ganze Diözese durch ein Ausschreiben aufgefordert zum Gebet für unsere
Brüder und Schwestern in Hamburg. Wo und wie es immer möglich ist, werde ich
Hilfe leisten.
Dir danke ich für die Umsicht mit der Du Anordnungen für die Unterbringung von Obdachlosen getroffen und für die aus dem Glauben entspringende Ruhe, die Du im Unglück gewahrt hast.
Sage auch Deiner Gemeinde mein innigstes Beileid und versichere sie meines steten Gebetes.
Mit Gruß und Segen!
Wilhelm, Bischof von Osnabrück“
Nachkriegszeit und
Wiederaufbau
Wir begeben uns in die Nachkriegszeit der 50er-Jahre. Die tugendhafte Gemütlichkeit trieb reichlich Blüten. Der Mütterverein feierte Fasching und Joseph Ohse besang 1958 in feinstem Platt den beschaulichen „Sünndagmorgen am Weiher“:
Söchst
du den Gottesfreden? Denn go alleen;
Sett
die am Weiher, dar kann’s em seen.
Fast
dücht mi, as wenn’en Wunner weer,
Disse
lütje See twischen den Hüsermeer.
He
gitzert un blänkert in’n lichten Sünnenschin,
Un
middenmang dar dümpelt en paar Anten bin.
Bunte
Bomen blööt dar mang den Gröön,
Un in schönsten Fröjaarskleed staat de Bööm.
Op wüppenden Twieg en lütt Vagel singt;
En
Loovleed he för sein en Schöpfer bringt.
Ne
liis Mohnung wer in düssen Leed
Dat nur bim Herrgot is de ware Freed.
|
Un
allens wat he uns Schöönes geev
Dat
tügt von siener Macht, von siener Leev.
O
Minschenhart, vergeet nich dienen Dank
Un höör op de Klocken eernsten Klang;
Se
röpt von St. Bonifatius: „Bim, Bam, Bum!“
Warrt
Tiet tom Karkgang, kum, kum, kum!
Un
as ick dunn tom Herrgot güng,
De
Gottesnäh mien hanze Seel umfüng.
Buten
am Weiher dar weer dat schöön.
Hiir
aver kunn ick den Herrgot sülven seen.
Allens
wat mien Hart bedrückt un queel.
Vertruu
ick em an ut depster Seel.
Von
buten und binnen weer nu Sünnenschien!
Kann
es Sünndag woll schöner sein?
|
Auf keinen Fall. Nicht ganz so wohl geordnet verlief indes das Leben des aus Pommern stammenden Landarbeiters Hugo der Anfang der 60er-Jahre für Schlagzeilen in der Lokalpresse sorgte. Hugo hatte sich in der Kirche ein Nachtquartier bereitet, zugegeben auf die nicht ganz feine Art. Der Reporter fasste das Geschehen zusammen:
„Der Landarbeiter Hugo, vor vielen Jahren aus Pommern nach Hamburg verschlagen, erreichte an einem späten Abend im Dezember mit seinem alten Fahrrad die katholische St. Bonifatiuskirche in Eimsbüttel. Die Tür des Gotteshauses war offen, Hugo rollte mit seinem klapprigen Gefährt über den dreißig Meter langen Kirchenläufer und stellte das Rad am Altar in der Sakristei ab.
Dann zog Hugo ein kräftiges Taschenmesser hervor, schnitt ein großes Stück des Kirchenläufers ab und riß eine Decke vom Altar. Nach diesem Tun schickte sich Hugo an, sich zur Ruhe zu begeben. Die Decke und das Stück vom Kirchenläufer gedachte er, als wärmende Zudecke in seinem ungewöhnlichen Nachtquartier zu verwenden.
Eine alte Frau jedoch, die zufällig des Weges kam, hatte Hugo beobachtet bei seinem frevelhaften Tun. Sie alarmierte den Pfarrer und der Pfarrer alarmierte die Polizei. (...)“
Die Sache kam vor den Kadi und der ließ Gnade vor Recht ergehen. Der wohnungslose Hugo durfte noch ein paar Wochen im Gefängnis bleiben, weil es draußen so kalt war. Der Wahlhamburger Hugo bedankte sich bei dem Richter aufs Allerherzlichste...
Exkurs: Die katholische
Schule am Weiher nach Kriegsende
1. Einleitung
Wenn
man die uns zur Verfügung stehenden Quellen über die Geschichte der katholischen
Schule am Weiher studiert, so kann man wohl zu Recht den Eindruck gewinnen,
dass die Zeit dicht nach dem zweiten Weltkrieg für die Schule eine der
intensivsten war. Denn nirgendwann war der Mangel an den materiellen und
personellen Gegebenheiten so groß wie da. Dennoch scheint es in den nächsten
darauf folgenden 10 Jahren bis etwa 1955 gelungen zu sein, unter Aufbietung
äußerster Kräfte und außergewöhnlicher Vorgehensweisen, die Schule zu dem
herzurichten, was man sich heute landläufig unter einer solchen vorstellt.
2. Wiedereröffnung
Wie
wohl bekannt, wurde unsere Schule – wie übrigens alle Bekenntnisschulen – im
Herbst des Jahres 1939 von den Nazibehörden geschlossen. Sie stand nun etwa 4
Jahre leer, bis Juli 1943, als die ausgebombte Schule Tornquiststraße mit ihren
Schülern bei uns einzog. Aber erst seit dem 1. September 1945 konnten unsere
eigenen Schulkinder hier wieder unterrichtet werden, und zwar zu diesem
Zeitpunkt 128 an der Zahl in 4 Klassen mit 4 Lehrschwestern in der so genannten
Mädchenschule (heute: das Schulgebäude mit Turnhalle bzw. Gemeindesaal). Man
kann sich also ausrechnen wie groß eine Klasse war! Die so genannte
Knabenschule, das Gebäude hinter der Kirche, konnte für den Unterricht nicht
benutzt werden, denn in ihr mussten ausgebombte Familien untergebracht werden.
Acht Monate später, zu Ostern 1946, übernimmt Herr Süme die Leitung der Schule.
3. Sozialsituation
der Schule
Welche schwierige Situation bot sich nun diesem Schulleiterund Kollegium?
Auch
1946 natürlich Statistiken über Schüler. Aber da war keine Rede davon, wie
viele Jugendliche einen eigenen Fernsehapparat auf ihrem Zimmer bedienen! Und
auch nicht, wie viel Prozent der jungen Leute Handybenutzer sind! Vielmehr
müssen wir folgendes grausige Bild zur Kenntnis nehmen:
- von 8% der Kinder ist der Vater gefallen,
- von 16% der Kinder ist der Vater in
Gefangenschaft,
- 6,5% der Kinder kommen aus so genannten
Flüchtlingsfamilien,
- 40% der Kinder sind mit ihren Familien
ausgebombt,
- 25,5% der Kinder wohnen mit ihren Familien zur
Untermiete,
- 15,3% der Kinder sind mit ihren Familien ohne
eigene Kochstelle,
- 21% der Kinder mit ihren Familien ohne eigene
Küche,
- 26,2% der Kinder sind ohne eigenes Bett,
- der durchschnittliche Wohnraum für Familien
beträgt 7 qm,
- 83,3 % der Kinder
sind unterernährt.
4. Not im
Klassenzimmer
Wie sahen die Not und das Elend nun im Klassenzimmer aus?
Während
der kalten Jahreszeit gab es zum Beheizen der Öfen so gut wie keinen Brennstoff.
Bücher durften entweder nicht mehr benutzt werden, wenn sie noch die Nazi-Ideologie
enthielten, oder sie waren einfach nicht vorhanden. 3 Schulhefte zum Schreiben
bekam nur der, welcher dafür 1 kg Altpapier abliefern konnte. Die Kinder waren
schlecht gekleidet. Zudem hatten die Schüler weite Schulwege zurückzulegen. Aus
Altona, Langenfelde, Eidelstedt, Stellingen, Lokstedt, Niendorf, Eppendorf und
Winterhude mussten sie meist per pedes Apostulorum „anreisen“, d.h. zu Fuß
unsere Schule ansteuern. Aber dazu kam dann noch, dass die Schulwege nicht
ungefährlich waren. Denn, so heißt es im Protokoll der Lehrerkonferenz vom 7.
Mai 1947: „Erneut sind die Kinder aufmerksam zu machen, da in letzter Zeit (auf
den Straßen) Verschleppungen vorgekommen sind.“ Auch hatten die Kinder große
Wissenslücken. Viel Unterricht war in den letzten Kriegsjahren ausgefallen.
Diese riesigen Lücken konnten kaum geschlossen werden.
5. Not in
der Schule
Welche weiteren ungünstigen Faktoren, was die Schule als ganzes betrifft, kamen zu diesen äußerst widrigen Bedingungen im einzelnen Klassenzimmer?
Dies
waren zum einen die hohen Schülerzahlen und zum anderen die Raumnot. Denn 1946
betrug der Durchschnitt der Schüler in einer Klasse 50 Kinder, während nur 4 Räume
zur Verfügung standen! Dabei hatte man die Oberstufenjahrgänge mit den Klassen
7-9 schon in eine Klasse zusammenlegen müssen! Wie schon erwähnt, war die Knabenschule
ja mit ausgebombten Familien belegt, und auch der 3. Stock der so genannten
Mädchenschule war zweckentfremdet: Ein Lehrer der Schule selbst hatte dort mit
seiner Familie Wohnen nehmen müssen. Bis Ostern 1951 war die Schule von 4 auf
11 Klassen mit 449 Schülern angewachsen und von 1951 bis 1954 kamen noch einmal
3 Klassen dazu. Die Schülerzahl der gesamten Schule betrug fast 500, nämlich
488 Kinder, eine für uns heute nicht mehr zu erreichende Größe.
6. Hilfen
zur Behebung der räumlichen Situation
Welche Hilfen fanden nun Schulleiter und Kollegium der kath. Schule am Weiher in einer solchen angespannten Notsituation?
Die
Bemühungen auf dem Gebiet der Überwindung der Raumnot gestalten sich sehr
schwierig und langwierig, und sie dauerten im Grunde ein ganzes Jahrzehnt bis
zum Jahr 1956. Denn für den Winter 55/56 wird in den Quellen von einer
Erstsanierung beider Gebäude einschließlich der sanitären Anlagen gesprochen,
d.h. erst zu diesem Zeitpunkt kommt eine solche umfassende Arbeit in Frage.
Denn die Räume der so genannten Mädchenschule und der so genannten Knabenschule
werden weitgehend nicht mehr zweckentfremdet als Wohnungen benutzt. (Ausnahme:
das Erdgeschoss der Knabenschule: Dort befindet sich von 1951-1965 ein
Kindertagesheim.) Doch auch schon im Herbst 1947 fand so etwas wie eine erste
Sanierung statt: In Eigenregie nämlich malten Väter, für die damalige Zeit
ihrer Rolle entsprechend, die Klassenräume aus, während die Mütter den Dreck
entsorgten und die Schulleitung für die Verpflegung aufkam, die sie bei der
Caritas organisiert hatte. Die Raumnot zwang ebenfalls zu sog.
Schlichtunterricht, der daher bis in den Nachmittag dauerte.
7. Schulverein
Eine
große Hilfe bedeutete dann die Gründung des Schulvereins im September 1948,
durch den bis 1968 die stattliche Summe von 65.000 DM aufgebracht wurde. Das entsprach
damals einer Anzahl von 13 VW-Käfern! Die Gelder verwendete man für die verschiedenen
Aufgaben des Ausbaus der Schule und der Einrichtung von Fachräumen. So wurde
eingerichtet bzw. angeschafft:
·
die damalige Lehrküche
(heute Kaminraum der Gemeinde),
·
die Lehrwerkstatt,
·
Film- und Diageräte,
·
die
Physikgerätesammlung,
·
die damalige Schulbühne
in der Turnhalle und
- die Lehrer- und
Schülerbücherei.
Ein
interessantes Detail vielleicht noch: Im Jahre 1959 verschwindet, und so
formuliert es der Chronist, „die staubige Schulhofwüste.“ Den Schulhof bedeckt
ab da eine Asphaltschicht. Für damals also eine echte Errungenschaft!
8. Hilfen
zur Behebung der Not im Klassenzimmer
Welche Hilfen fanden nun Schulleitung u. Kollegium für die Notsituation im Klassenzimmer?
Im
Protokoll der Lehrerkonferenz vom 17.09.1948 heißt es: „Herr Schulrat
Wommelsdorf konnte die erfreuliche Mitteilung machen, dass in diesem Jahre für
die Hamburger Schulen keine Kohlenknappheit herrschen würde.“ Hier also war man
von der wirtschaftlichen Lage abhängig.
Im
Protokoll der Lehrerkonferenz vom 20.3.1950 lesen wir: „Es besteht die
Möglichkeit, dass das bisherige Lehrbuch für den Englischunterricht durch The
New Guide ersetzt wird. … Wegen Büchermangels werden wohl nur die Anfänger mit
diesem Buch versehen.“ Um an Schulhefte zu kommen, wurde in den Sommerferien
’47 eine Altpapiersammlung durchgeführt.
Dem
mangelhaften Zustand der Kleidung von Kindern wird durch so genannte Zeugspenden
abgeholfen. „Die Versorgung mit Schuhzeug geschah ebenfalls durch die Schule,
indem die Kinder auf Vorschlag des Klassenlehrers in den dringendsten Fällen
einen Schuhbezugsschein von der Schulleitung erhielten.“
9. Hilfen
zur Behebung der Not der Kinder
Wie begegnete unsere Schule nun dem großen physischen und psychischen Elend der Weiherschüler nach dem Ende des zweiten Weltkriegs?
Ein
großes Problem der Kinder war schlicht ihr Hunger. Um hier Abhilfe bzw.
Linderung zu schaffen, führte man die so genannte Schulspeisung durch, die
während der Schulzeit, aber auch während der Ferien stattfand. Länder wie
Schweden, Dänemark, England und die USA hatten diese Einrichtung mit ihren
Lebensmitteln ermöglicht. Aber dennoch gab es auch da bei den Kindern Probleme:
So redet das Protokoll der Lehrerkonferenz vom 9.7.1947 von folgendem: „Die
Schulspeisung soll in vernünftiger Weise durchgeführt werden; jedes Kind soll
möglichst sitzend essen.“ Und, ein Flüchtlingsjunge klagt: „Im Gegensatz zu
einigen anderen Kindern, die einen, Henkeltopf’ besaßen, holte ich mir die
Suppe in einer kanadischen Blechdose. Öfter wurde mir die Dose mit einem Hieb
aus der Hand geschlagen, so dass die Suppe am Boden lag. Da ältere Schülerinnen
und nicht die Lehrer selbst das Essen vor der Turnhalle ausgaben, fielen den
Lehrern solche derartige üble Streiche gar nicht auf.“ Also auch damals
Mobbing, und das in einer solchen Notsituation, aber keine Konfliktkultur wie
heute, vielleicht ansatzweise: denn unsere Kinder würden sich heute in einer
solch wichtigen Situation sicherlich bei uns Lehrern beschweren!
Auch
in der Speisung selbst gab es Engpässe. So lässt eine Mitteilung über die
Hoover-Speisung vom Jahre 1950 den damaligen Schulleiter wissen: „Ihre Schule
erhält im Monat April … statt der warmen Verpflegungsmahlzeit 1/5 Liter Kakao
und ein Rosinenbrötchen.“
Viele
unserer damaligen Schüler waren traumatisiert und standen unter Trauer wegen
des Verlustes ihrer Väter oder anderer Familienangehöriger, wegen des Verlustes
der Heimat, wegen des Verlustes der Wohnung. Geplagt wurden nicht wenige durch
Dichtestress aufgrund beengter Wohnverhältnisse, und das zum Teil sehr
primitive Wohnen machte ihren Alltag zur Tristesse. Um dem wenigstens für einen
gewissen Zeitraum entgegenzuwirken, wurden jährlich jeweils 110 Kinder während
der Sommerferien ins Emsland verschickt. Dort auf dem Land konnten sie sich
erholen, und sie hatten endlich einmal die Gelegenheit, sich richtig satt zu
essen.
Auch
wurden ab 1947 wieder Klassenreisen durchgeführt für die Oberstufe, also für
die Klassen 7 bis 9. So spricht eine Quelle von den ersten Klassenfahrten nach
Bodenwerder an der Weser: „Jeder Schüler schleppte einen schweren Rücksack,
voll gepackt mit Lebensmitteln aller Art, die aus Spenden des Caritasverbandes
bestanden. Viele trugen neue Schuhe, die sie dem Entgegenkommen der verschiedenen
Wirtschaftsämter zu verdanken hatten.“
Zu Weihnachten 1946 fand an der Schule eine Hilfsaktion statt, bei der sich wohlhabendere Eltern und Familien um Spenden für Ärmere bemühten. So konnten sich dann 45 Familien zum Weihnachtsfest über Spielzeug, Kleidung und Bargeld freuen
10. Schluss
Die Vierziger Jahre nach dem 2. Weltkrieg und die frühen Fünfziger Jahre waren für die Schule, wie wir jetzt sahen, äußerst bemerkenswert. Auf der einen Seite die furchtbare Not der Kinder und die der Schule, auf der anderen Seite der immense Einsatz von Schulleitung und Kollegium um Linderung der Situation. Dabei war in diesem Notzeiten der eher direkte Kontakt der Menschen zueinander typisch. Und, der Wirkungsbereich der Schule erstreckte sich weit über das heute Übliche: nämlich ganz wesentlich auch auf die unmittelbaren Bedürfnisse junger Menschen. Das war das Besondere an dieser Periode im leben unserer katholischen Schule ‚Am Weiher’.
Exkurs: Unsere
Kindertagesstätte
Im
Jahr 1962 errichtete die Gemeinde auf ihrem Grundstück eine Kindertagesstätte...
Liebe Festgäste,
es ist kein Rückblick in Bilder der Vergangenheit unseres Hauses, sondern für die Betrachter, für jeden Betrachter eine hoffentlich positiv-emotionale Rückschau auf eine sehr zentrale Entwicklungsstufe eines jeden Menschen, auf die wohl prägendste Phase der Kindheit; erzählt in Bildern aus freudigen und bewegten Sternstunden derer, die bei uns in der Kindertagesstätte betreut werden, wo wir Mitarbeiter wohl eine einzigartige Chance haben, nämlich die, diese Sternstunden Ihrer und „unserer“ Kinder aus unmittelbarer Nähe mitzuerleben. Wir sind stolz darauf, dies tun zu dürfen und setzen unsere Kraft mit Freude ein, um hoffentlich einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklungsförderung dieser Kinder zu leisten. Danke für Ihre Aufmerksamkeit und nun viel Vergnügen.
Ach, noch ein Hinweis: Sehen Sie die ein oder andere Passage mit Humor, so ist sie nämlich gemeint!!!
Am Fuße der Kirche, im Schatten gelegen,
ein Haus wie ein Würfel im göttlichen Segen,
ein einfacher Bau, das Viereck aus Stein,
oh je, wer mag der Erbauer nur sein?
Eine Stätte voll Leben, mit Kindern belegt,
für Gemeinde ein Gutes, was hier in ihr lebt.
Der Andrang ist groß, die Listen sind lang,
so ist für die Zukunft uns gar nicht so bang.
Die Eltern, sie kommen mit Anspruch und Kind,
laut „Pisa“ ein wichtiges Lernfeld wir sind.
So ist es das Erste, was wichtig erscheint,
dass das Kind wohlbehütet ganz wenig nur weint.
Bedingung dafür, dies ist wohl bekannt,
sind vertraute Erzieher mit Herz und Verstand.
Als Zweites ist wichtig, dass der Magen nicht
knurrt
und die Chefin der Küche nach Kinderwunsch spurt.
Ein Ergebnis, das wäre, es liegt auf der Hand
für die Kinder tagtäglich halt Nudeln am Band.
Das Putzen der Zähne ist wichtig, total,
ein Vergessen desselben in seiner Wirkung fatal.
So würd’ es den meisten ganz oft wohl gelingen,
den Gegenüber beim Atmen in die Knie’e zu zwingen.
Die Kinder, sie lernen was Neues im Nu,
als Antwort auf Blicke folgt gleich: „was guckt
Du?“
Sie sind oft sehr lebhaft, beweglich und laut,
sie
streiten, verhandeln und mancher, der haut.
Sie kennen auch Grenzen, sind ziemlich direkt,
bleibt oft nur zu ahnen, was in ihnen steckt.
In Angebot, Freispiel, zuweilen Projekt,
gar manches Talent wird in ihnen geweckt.
Im Kontext der Schule die Köpfe, sie rauchen,
Verständnis und Zuspruch die Kinder oft brauchen.
Beim Lesen und Rechnen, da helfen wir weiter,
als Basis für ’ne Karriereleiter!
Zentral bleibt jedoch, Gemeinschaft zu leben,
in ehrlicher Freundschaft zu teilen, zu geben,
Toleranzen zu ebnen in jedem Kind,
dass Fremde im Lande auch Freunde sind.
Und Gott ist bei uns, begleitet den Tag,
dass das, was wir tun, auch er eben mag,
oft fällt nicht sein Name im bunten Geschehn’,
wir reden von ihm, auch ohne zu sehn’.
Die Kinder, sie lachen, sie springen und schrein’,
die Mischung aus allem, dies könnte es sein.
Aktiv zu ergründen, was wäre denn nett,
ob Fußball, das Turnen oder gar auch Ballett
Wir brechen so manches mit ihnen vom Zaun,
bei uns brauch’ kein Kind in die Röhre zu schaun’.
So lautet die Formel, kurz und ratzfatz,
für die Kita am Fuße von St. Bonifatz:
„Verantwortung tragen für Handeln und Tun,
Ideale vertreten, wenn andere muhn’,
die Kinder nicht in Ketten legen,
ganz sorgsam ihre Rechte pflegen,
mit Freude zur Arbeit im Trubel der Zeit,
es lohnt sich für Kinder, gern sind wir bereit.“
Alfred Andresen
Hier und Jetzt
Damit sind wir auf vergnüglichem und raschem Wege in der Gegenwart angelangt. Um es kurz zu machen: Unsere schöne Kirche offenbarte, wie ein Mensch, Zeichen des Alterns.
Einmal waren es die Kniebretter der Kirchenbänke, die laut Chronik „splittrich“
waren und den betenden Frauen „die Strümpfe zerrissen“. Dann wieder traten
Witterungsschäden auf, die Orgel gab den Geist auf, oder das Gemeindehaus
mussten modernisiert werden. Der Kirchenvorstand tagte, bewilligte, schrieb
aus. Die großen Abschnitte der Restaurierung sind abgeschlossen. So standen die
letzten Jahre oftmals im Zeichen der Wiederherstellung, Bewahrung und Pflege –
zumindest äußerlich. Was den inneren Zustand unserer Gemeinde und unseres
persönlichen Glaubens angeht, darüber kann sich nach diesem Abend jeder selbst
einmal Gedanken machen. Wenn es einen Geist von St. Bonifatius gab und gibt,
dann möge er beständig sein, wissend und wach, ein lebendiger Geist – und kein
Gespenst.
Ausblick
Liebe
Gemeinde, liebe Gäste.
Im Nachdenken über Kirche, über unsere
Gemeinde gelten bestimmt Überschriften wie:
Kirche
unterwegs
Kirche
Volk Gottes
Kirche
Leib Christi
Kirche
in der Zeit – durch die Zeit
Dennoch wissen wir – dass die
Glaubensentfremdung unserer Tage radikal ist – dass wir in einer
säkularisierten Welt leben – wie sie die menschliche und auch die christliche
Geschichte bisher nicht kannte. Im Osten Europas (DDR u.a.) lag diese
Säkularisierung blank vor den Menschen. Im Westen war und ist sie ebenso
vorhanden, aber kaschiert oder- wie Prof. Schürmann einmal sagte -
als „Trachtensäkularismus“. Er meinte damit, dass getraut, getauft, beerdigt
wird – ohne Inhalte vielfach – eben in der netten christlichen Tracht
vergangener Zeiten. Auch unsere Gesellschaft wird wie selbstverständlich ohne
Gott geplant und gestaltet. Im besten Fall ist Gott „nur“ in die Ferne
gerückt. Irgendein höheres Wesen wird es schon noch geben, aber das hat mit
dem Alltag der Menschen kaum noch etwas zu tun.
Parallel zu dieser Entwicklung sinkt das
religiöse Wissen auf Null. Dann hängt Moses am Kreuz und ist der Kirchturm
eine Wetterstation.
Dieser Trend wirkt bis in den Kern unserer
Gemeinden. Wir können ihn auch beim Durchforsten unserer Archive und
Gemeindechroniken feststellen.
Wer von uns das „sentire cum ecclesia“ –
das Fühlen, Meinen mit der Kirche kennt, wird auch Trauerarbeit leisten
wollen im Hinschauen auf sterbende Traditionen und Gewohnheiten.
Zugleich mag aber die Frage wacher werden,
ob ich dem „Gerücht von der Anwesenheit Gottes“ traue und ihm „Beine mache“,
wie Zulehner es sagt.
Israel machte in der Heilsgeschichte die
Erfahrung, dass Gott sich nicht mit Gewalt durchsetzen will. Seine Geschichte
ist keine Geschichte von Machterweiterung – eine Geschichte des
Machtverzichts ist sie. Gott ist
der „große Gärtner“, wie Teresa von Avila
sagt, der sät und wachsen lässt.
|
Wenn
die, die sich auf diesen Gott berufen haben und berufen, sich mit Gewalt
durchsetzen, mit Angst operieren, dann geht es nicht mehr um Autorität.
Autorität hat es mit Würde zu tun:
meiner eigenen
und der des Mitmenschen.
Gewaltmenschen sind autoritär. Sie machen
Angst, weil sie selbst Angst haben.
„Jesus aber trägt die Dornenkrone.“ ER
trägt die Wunden der Menschheit. ER geht die dunklen Wege der Ohnmacht. ER
preist selig die Hungernden, Verachteten....
Wenn wir uns auf diese Sichtweise wieder
oder neu einlassen, haben wir, hat die Kirche Zukunft. „Wenn du jetzt in deine
erste Pfarrei kommst, dann sei immer auf der Seite derer, die nichts gelten.
Dann bist du immer auf der richtigen Seite.“, so sagte mir ein alter priesterlicher
Freund vor der Übernahme meiner ersten Pfarrei im Nordwesten von Mecklenburg.
Von Adenauer stammt der Satz: „Ein Blick
in die Vergangenheit hat nur Sinn, wenn er der Zukunft dient.“
Wenn wir in die Geschichte unserer St.
Bonifatius-Gemeinde geschaut haben, dann auch darum, weil wir an eine Zukunft
glauben.
In St. Bonifatius gibt es Menschen auf dem
Weg in allen Altersgruppen, gibt es Suchende und Fragende. Auf dem Weg sein
in die Zukunft ist nicht an physisches Alter gebunden. Im Unterwegssein
erkennen wir aber auch, dass auch bei uns manches an Enge, Ghettomentalität
und Selbstgefälligkeit sterben muss.
Manche Traditionen bergen Glut, fragen
nach den Wurzeln. Andere Traditionen sind Asche und werden weggefegt.
Aus diesem Realismus kann ein
optimistischer Realismus bzw. realistischer Optimismus erwachsen, was dem
Menschen des Weges eignet. Optimistischer Realismus sieht Wachstum in St.
Bonifatius.
Dabei meine ich nicht vordergründig
transparente Kassen, renovierte Gebäude, manche Neuorganisation.
Das ist wichtig
und gut, aber ich meine zuerst die Seele der Kirche, der Unterwegsseienden
dort,
·
wo Menschen
das geistliche Gespräch suchen,
·
wo Menschen
mehr darüber wissen wollen, wer dieser Jesus von Nazaret für ihr Leben ist,
·
wo Menschen
die Stille suchen als die Schwester des Göttlichen,
·
wo Menschen
sich im Gebet Gott aussetzen, damit ER sich einsetzen kann,
|
·
wo Menschen
Mauern abbauen und Zäune einreißen, weil diese andere ausgrenzen
·
wo Menschen
wissen, dass Liebe nur Liebe sein kann, wo sie sich mit Gerechtigkeit
verbindet,
·
wo Menschen
dem Sprichwort entgegenhandeln, dass „die Frommen die Unbarmherzigen“ seien,
·
wo Menschen
spüren, dass jede Eucharistie Anruf ist, als Verwandelte hinauszugehen zu den
Menschen, als politischer Mensch, weil ihn die Polis - das Gemeinwohl - etwas
angeht....
Auch
St. Bonifatius als Teil der Weltkirche und der Christenheit ist in eine
Übergangssituation gekommen. Das zu erkennen und anzunehmen, ist eine Chance
und bedeutet Zukunft
·
auf der einen Seite stirbt Volkskirchliches und Milieuchristliches
·
auf der anderen Seite lässt sich dieser Vorgang auch als Geburtserfahrung,
als Durchbruch zu neuem Leben sehen
Frau
Mechthild Bausch schreibt in „Neues am Weiher“: „Damals wie heute war und ist
das Leben der Gemeinde geprägt von Menschen, die in ihr wirkten und wirken,
von ihren Ideen und Zielen, Leistungen und Irrtümern – und dem Wunsch,
Glauben gemeinsam zu leben. Das Jubiläum ist eine schöne Gelegenheit, ihnen
und uns allen in Gott zu begegnen. Von damals bis heute.“
Und
ich füge hinzu: Und in die Zukunft – so wie Gott diese will.
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Johannes Peter Paul, Pfarrer |
Dienstag, 19.
November 2002
Festgottesdienst
mit anschließendem Empfang
Hauptzelebrant Diözesanadministrator Dr. Alois Jansen
Begrüßung durch
Johannes Peter Paul
Sehr geehrter, lieber Herr
Diözesanadministrator Dr. Alois Jansen,
wir – unsere Gemeinde – begrüßen Sie, unsere
Schwestern und Brüder aus der Ökumene – alle unsere Gäste herzlich.
Wir danken Ihnen, dass sie gekommen sind, um
mit uns dem EWIGEN in der Eucharistia Dank zu sagen für 110 Jahre St.
Bonifatius Gemeinde. Es ist eine Art von Jubiläum zwischendurch.
Am Sonntagabend haben über 250 Interessierte
hier in unserer Kirche das Jubiläum mit einer musikalisch umrahmten Zeitreise
begonnen. Mit diesem Gottesdienst feiern wir den Gründungstag unserer Gemeinde
– nicht verlegt, sondern an dem zutreffenden Tag. „Ein Blick in die Vergangenheit
hat nur Sinn wenn er der Zukunft dient“, sagte Konrad Adenauer.
Papst Johannes Paul II. sagt: „Der Christ
ist weder Optimist noch Realist. Er ist ein optimistischer Realist.“ Beide
Sätze machen Mut. Sie fordern geradezu auf, sich zu erinnern, die Wirklichkeit
zu sehen, wie sie ist, den Augenblick zu erleben und zu gestalten und die Glut
der Hoffnung zu bewahren, weil diese nach vorn, nach oben und nach innen
schauen lässt auf den EWIGEN, der uns Zukunft gibt und unsere Zukunft ist.
IMPRESSUM
Text und Foto:
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Mechthild Bausch,
Sabine Behrend,
Johannes Peter Paul,
Rebecca Scholz
Christian Wagener,
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kath. Kindertagesstätte
„Am Weiher“, |
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kath. Schule „Am Weiher“
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Konvent der „Grauen Schwestern“, |
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Gestaltung
& Layout:
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Martin Kriegel
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verantwortlich:
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kath. Kirchengemeinde
St. Bonifatius
Hamburg-Eimsbüttel
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Am Weiher 29
|
|
20255 Hamburg
|
|
Tel.: 040 40 71 88
|
Nachdruck nur mit Genehmigung
© Dezember 2002 / Januar 2003