Interview mit einem Vampir!
Liebe Gemeinde, liebe Gäste unserer Gemeinde,
ich möchte Sie zum Schuljahresbeginn an Gedanken eines kürzlichen Interviews teilhaben lassen, das noch nicht veröffentlicht ist. Darum erwähne ich aus Datenschutzgründen keine Namen.
NN: Denken Sie, dass Geld fast eine Art Religion ist?Johannes P. Paul: Nicht fast, Geld ist eine Religion. Religere heißt übersetzt: „Sich binden an....” Obwohl Geld an sich neutral ist. Es ist weder gut noch böse. Menschen sollen es benutzen. So ist es gedacht, und deshalb ist es auch entstanden. Inzwischen aber scheint nur noch das Prinzip des Wachstums im Mittelpunkt zu stehen. Dadurch verliert Geld mehr und mehr seine ursprüngliche Aufgabe. Es geht nicht mehr um den Menschen, sondern es hat sich vom Menschen abgelöst. Und daraus folgt, dass Menschen sich nicht geschützt fühlen. Sie müssen sich immer neu durchsetzen, gegen andere, gegen Stärkere. Am Geld wird sehr gut sichtbar wie stark es um die Frage des „Wie” geht. Wie setze ich etwas ein und wozu? Wenn Geld nur dazu da ist, immer mehr davon anzuhäufen, hat es seinen eigentlichen Sinn verloren.
NN: Unsere Publikation ist ein Angebot, sich genau mit diesem Thema auseinander zu setzen. Wir glauben daran, dass es Möglichkeiten gibt, Geld auf gute Weise einzusetzen. Menschen benutzen Geld, um anderen etwas vorzumachen – der Finanzmarkt ist voll von diesen Leuten. Was sie tun, unterliegt einem einfachen psychologischen Gesetz: Sie gaukeln Kunden vor, dass sie Sicherheit erhalten und Menschen sind bei wenigen Themen so beeinflussbar wie beim Thema Sicherheit. So schaffen sie sich etwa eine Lebensversicherung an und merken Jahre später, nachdem der Vermittler längst seiner Wege gegangen ist, dass die versprochene Sicherheit nicht eingetreten ist, sondern dass sie im Gegenteil viel Geld verloren haben. Wir vermitteln unseren Kunden, dass es die letzte Sicherheit nicht gibt. Wir haben nur die Chance, uns das Leben genau anzusehen und die Gesetzmäßigkeiten, nach denen es funktioniert. Wenn wir dann etwas finden, dem wir Vertrauen schenken, nachdem wir es genau geprüft haben, können wir in die Entscheidungsphase eintreten. Die einzige Sicherheit, die es gibt, ist wohl im Loslassen begründet. Im Vertrauen darauf, dass das Gute sich durchsetzen wird. Auch wenn sich uns Schwierigkeiten in den Weg stellen...
JPP: ... und gerade die sind wichtig, die lassen uns wachsen. Wir müssen auch wieder lernen zu teilen. In der Bibel wird die Geschichte von einem Landbesitzer erzählt, der sehr viel Ernte eingefahren hat. Aber er behält alles für sich, und hat nur seinen eigenen Wohlstand im Sinn. Gott sagt zu ihm: „Du Narr, heute Nacht noch muss ich dich abberufen.” Wäre der Bauer großzügig gewesen, dann wäre er vielleicht auch gestorben. Aber dann hätte sein Leben einen Sinn gehabt. Die ständige Frage lautet: Was will mich besetzen? Die Angst, nicht genug zu haben? Gibt es etwas darüber hinaus? Wo ist meine Mitte? Und was soll in meiner Mitte stehen? Wenn ich nur mich selbst in diese Mitte stelle und die Welt um mich herum ausblende, dann grabe ich mir den Strom des Lebens ab. Ich vereinsame mich selber.
NN: Das Kernproblem, das ich sehe: Der Mensch ist abgekoppelt. Er ist nicht mit seinem Umfeld verbunden. Viele denken, dass sie mit Hilfe von Geld eine Verbindung eingehen können, oder schlimmer noch: Sie gehen mit dem Geld eine Verbindung ein, nicht aber mit anderen Menschen. Diese Haltung spiegelt in überspitzter Form der Finanzmarkt wieder.
JPP: Und wohin führt das? Irgendwann ist das Maß erreicht – und wir wissen das doch! Ich habe letztens einen Ernährungsberater kennen gelernt, Typ Bodybuilder, ein richtiges Muskelpaket. Er sah sehr ungesund aus. Ich fragte ihn: „Wie lange soll das noch so gehen?” Er war vollkommen perplex, weil er sehr stolz auf seinen Körper ist. Er meinte, er sähe zehn Jahre jünger aus als er ist. Ich hatte ihn für zehn Jahre älter gehalten! Und auch damit habe ich ihn konfrontiert. Vergänglichkeit bewusst machen und dass wir sie annehmen müssen. Was, wenn eine Zelle verrückt spielt, wenn ein Unfall passiert? Ich muss im Blick haben, dass morgen alles anders sein kann. In dieser Relativierung leben wir viel intensiver. Das trifft auch und besonders zu im Hinblick auf das Schöne! So wie es im Faust heißt „Verweile doch du bist so schön!” Freu Dich daran. Mach etwas daraus. Suche den Himmel auch im Hier und Jetzt. Darauf möchte ich hinweisen. Dass der Glaube an Gott nicht Verneinung ist, sondern Bejahung – letztlich auch des Todes. Aber zu dieser Offenheit kommen wir nur durch ständiges Hinterfragen unserer eigenen Lebensweise.
NN: Das Fragenstellen ist auch Kern unserer Arbeit. Das fängt aber immer im Persönlichen an. Nur wer für sich selbst, für sein eigenes Leben Schärfe entwickelt, kann auch das Leben und damit den Finanzmarkt durchschauen. In unserer Branche, in der es ja vor Halbwahrheiten nur so wimmelt, ist es besonders wichtig, genau hinzugucken. Produktentwickler, die uns etwas anbieten, damit wir es wiederum an unsere Kunden verkaufen, haben es sehr schwer bei uns – wegen unseres schonungslosen Blickes. Sie sind das oft nicht gewöhnt, dass ein Gegenüber sie in dieser Art durchleuchtet. Das hat schon viele Male für Unmut gesorgt. Aber wenn sich der andere dem Nachhaken nicht stellt, ist das oft ein Zeichen dafür, dass er etwas verbirgt: verdeckte Kosten etwa, die sich über die Jahre horrend auftürmen können. Die Verlockung, gerade diese Produkte zu verkaufen, ist hoch, denn hier winken die Provisionen. Aber wir müssen unser eigenes Interesse zurückstellen.
JPP: Das ist oft schwer. Und erst, wenn ich an dieser Stelle ein Fragender werde, verstehe ich: Das hat mit mir zu tun. In diesem Hinschauen liegt der Same der Veränderung. Edith Stein, eine Nonne und Philosophin, die im Konzentrationslager Auschwitz 1942 ermordet wurde, sagte einmal: „Nur, was angeschaut wird, kann verwandelt werden.” Immer, wenn ich etwas nicht oder nur teilweise sehe, dann verfolgt es mich. Ich muss es in voller Gänze betrachten. Aber zu diesem Mut muss man sich erst hin entwickeln.
NN: Darin liegt ein großes Potenzial, denn nur so ist Veränderung möglich. Zu wissen, dass ich mich selbst ändern kann, ist ein großer Schatz. Ich gebe dann auch anderen eine Chance und begreife im Gegenzug wie gefährlich Bewertungen und Beurteilungen sind. Wir hatten einmal einen Menschen hier im Unternehmen der in unseren Sitzungen immer sehr oberflächliche Einwände gemacht hat. Irgendwann bin ich dahinter gekommen, nachzufragen. Hinter der vermeintlichen Dummheit stand immer etwas sehr Schlaues. Mir ist klar geworden, dass dieser Mann in seiner Rolle eingesperrt war, aus welchen Gründen auch immer. Aber wenn man ihm auf den Zahn fühlte, dann musste er ausbrechen. Darin lag für mich ein Moment der Wahrheit, ein Impuls, der Leben geweckt hat. Denn plötzlich wurde das, was er sagte, interessant und wichtig. Sein Dasein bekam einen Sinn und er wurde gebraucht. Und bei uns anderen entstand Interesse für ihn.
JPP: Es ist schön, eine solche Erfahrung zu machen. Wir müssen aber auch mit dem Realismus leben, dass es dumme Menschen gibt. Sie haben vielleicht viel Wissensanreicherung – sind aber nicht gebildet. Es gibt sogar Menschen, die sehr viel Wissen ansammeln, dieses Wissen wird aber nicht in Handlung und Haltung umgewandelt, also in Bildung – auch in Herzensbildung. Diese Menschen mit Herzensbildung wissen, was Würde, Anstand und Respekt sind. In der Biographie dieser Person hat es vielleicht viele Benachteiligungen gegeben und jetzt muss sie sich um jeden Preis präsentieren. Wissen ist nur etwas wert, wenn es uns ändert. Ich musste erst lernen zu akzeptieren, dass Dummheit eine Realität ist und dass ich mit ihr umgehen muss. Eine ebensolche Realität ist das Böse. Es zu negieren heißt, ihm Macht zu geben. Seine „Kraft” ist die Lüge. Dorothee Sölle, die vor einigen Jahren verstorbene große evangelische Theologin und Mystikerin, kennt in ihrer Beschreibung des mystischen Weges von Christen/innen als Negativform zum ”Staunen” das „Erschrecken”. Erschrecken darüber, wozu der Mensch in seiner Negativität fähig ist. Auch das ist ein Mysterium. Aber auch daraus wächst eine menschliche Erkenntnis: Das Böse – die Lüge - ist taub, blind und dumm – und vernichtet sich letztlich selbst. Ich könnte mich ja einfach damit abfinden, resignieren. Durch meinen Glauben habe ich gelernt, damit umzugehen, für die Wahrheit kämpfen zu lernen. Ich habe angefangen, namentlich für diese Personen zu beten. Ich muss es tun! Es gab Phasen, da bin ich wütend geworden, aber die Schlachten dieser Welt werden zuerst in uns selbst gekämpft. Dort drüben sehen sie Fotos mit Menschen in Jerusalem an der Klagemauer. Sie tragen Waffen, aber sie strahlen keine Stärke aus, sondern emotionale Armut. Sie halten die Köpfe gesenkt als würden sie sagen: „Wir sind arme Schweine. Wir sind ohnmächtig. Wir haben Gewehre, aber das schafft nicht den Frieden”. Ich mag dieses Bild sehr gern, weil es zeigt, dass wir im Grunde alle den gleichen Kampf austragen – mit der Bitte um Kraft von jemandem, der uns hält, trägt, uns Sinn.....zuspricht.
NN: Wie können wir etwas verbessern?
JPP: Es geht immer um die Würde. „Der Weg zur Wahrheit ist, mit Anstand dem Unanständigen zu begegnen!” (Verf. unbekannt) Wir müssen den aufrechten Gang lernen. Da muss ich bei mir anfangen: ich bin etwas wert. Der jüdische Psychologe Victor E. Frankl hat trotz großer Demütigungen durch SS-Männer im Konzentrationslager seine Würde bewahrt. „Du kannst meinen Körper zerstören, nicht aber meine Würde”. In einer Rede vor vielen Menschen nach dem Krieg in Wien rief er laut: ”Es gibt nur zwei Rassen von Menschen: die Anständigen und die Unanständigen.” Heilig sein bedeutet, ganz zu werden: ich bin wer, ich habe eine Würde. Ich kann im Dreck liegen, aber ich habe Würde. Ich muss auch lernen zu sehen, dass der andere, der im Dreck liegt auch Würde hat. Das ist der erste Schritt, etwas zu verbessern. Ich habe unter anderem jetzt auch das „Wozu” meiner Stasiakten begriffen. Als Priester, als Jugendseelsorger war ich durchleuchtet bis in einzelne Sätze hinein. Ich wurde als Hardliner, Staatsfeind, nicht im sozialistischen Sinne erziehbar ..... eingestuft. Ich habe aber meine Würde nie vom sozialistischen System abhängig gemacht. Zu dieser Haltung haben mir meine gläubigen Eltern und später meine philosophischen und theologischen Lehrer geholfen.
NN: Darin sehe ich auf einer abstrakten Ebene eine Art von Fehlerkultur: Sich im Spiegel anzuschauen und sich ständig zu hinterfragen. Sich auch einzugestehen, dass etwas nicht so gut gelaufen ist, dass man etwas nicht so gemacht hat, wie man es eigentlich hätte machen sollen.
JPP: Ja, aber auch hier heißt es barmherzig zu sein, mit sich selbst. Gott will auch das Negative sehen. Er verurteilt uns nicht. Wir müssen sogar den ganzen Mist auf den Acker tragen, damit etwas Neues, Fruchtbares daraus entstehen kann. Es muss auch Orte des Schimpfens und des Jammerns geben. Und man darf Gott sagen, wie es in einem aussieht. Gott hat keine vollkommene Welt erschaffen. Er hat eine Werdewelt erschaffen. Und es ist auch unsere Aufgabe, zu werden. Ich darf Fehler machen, ich muss nicht vollkommen sein, aber ich werde es irgendwann einmal sein. Ich bin auf dem Weg. Wenn Gott mir einmal mein Leben zeigt, werde ich weinen über die verpassten Chancen. Auch darüber, dass die Liebe immer da war, meine Chance. Mir das anzuschauen wird mir nicht erspart bleiben. Wenn es ein Fegefeuer - eine Art innerer Reinigung - gibt, dann liegt das auch im Hier und Jetzt. Wenn ich innerlich durch die Reue gehe, einen Fehler gedanklich noch einmal durchlebe. Wenn ich jemanden verletzt habe und es mich umtreibt. Aber es muss mich umtreiben! Darin liegt das Reinigungsmoment. Nur das gibt Zukunft. Dazu brauche ich aber die Kultur des Hinschauens, der Umkehr aus den Sackgassen meines Lebens. Die Sehnsucht nach innerer Heilung muss durch mich selbst eine Chance bekommen. Und dann wird es besser.
NN: Vielen Menschen fällt es schwer, dem Guten eine Chance zu lassen In unserer Institution versuchen wir zu vermitteln, dass, was gut ist, Zeit braucht und sich entwickeln muss. Vertrauen meint für mich auch, dass ich einen Schritt gehen muss, auf den anderen oder auch auf eine Sache zu.
JPP: Dazu fällt mir das Wort „Dialog” ein. Vertrauen funktioniert nicht ohne Kommunikation. Zusammenwächst man, indem man sich das Wort gewährt und zwar auf Augenhöhe. Von „Aufmerksamkeit” spricht die franz. Existenzphilosophin Simone Weil. Wir sind dialogische Wesen. Es ist so wichtig, Dinge durchzusprechen, manchmal lange und immer wieder. Das merke ich hier in der Gemeindearbeit und besonders natürlich in der Seelsorge. Wir brauchen Orte des Dialogs, wir brauchen Freunde. Eine Handvoll Freunde, das reicht schon, aber die brauchen wir. Jeder muss für sich selbst den Freundschaftsbegriff ganz ehrlich definieren, manchmal ganz neu. Freunde sind Menschen, bei denen ich nackt sein kann, d.h. bei denen ich mich nicht verstellen muss, bei denen ich nachts klingeln kann. Wer mich dann mit offenen Armen aufnimmt, der ist ein Freund. Eine wichtige Voraussetzung für Freundschaft ist das Hören. Kierkegaard hat gesagt: „Bevor du ein Wort aussprichst, muss du ein Hörender sein.” Genauso wichtig wie das Schauen und das Fragen ist das Hören. Vielleicht kommt tatsächlich zuallererst das Hören.....